Das Licht der Jugend

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Wir schreiben das Jahr 2006, und ich trage jetzt seit knapp einem Dutzend Monaten nicht mehr Schwarz wie in den 10 Jahren zuvor. Es hat sich etwas geändert - ich habe mich verändert.

Manchmal wache ich auf und bin verliebt. Verliebt in außergewöhnliche Situationen, verliebt in die Sommerluft und den Seewind, verliebt in die Welt, die mir Freude macht und mich reizvollen Menschen näher bringt. Ich bin verliebt in das Lebensgefühl, das keiner Benennung bedarf, weil es mächtig und eindeutig auf meinen Weg strahlt; so stark, daß die Sehnsucht danach schon laut wird, wenn das Gefühl noch anhält.

Immer schwingt die Angst mit, es zu verlieren - und es geht oft verloren, immer und immer und immer wieder.

Ich weiß, daß es keinen Sinn hat, aber ich frage mich immer noch gelegentlich, was ich tun muß, um es zu behalten. Wen ich kennenlernen muß, wie ich mich noch ändern muß, welche Reise ich noch antreten, welche Grenzen ich durchbrechen und welche fernen Ufer ich noch entdecken muß. Ich will nicht mehr Abschied nehmen, will nicht mehr bedauern, weil ich müde bin, immer wieder die Hand zu öffnen und loszulassen, was ich schon kosten durfte.

Warum muß ich immer wieder Menschen ziehen lassen, die mir mehr Freude und Erfüllung gaben als die Welt mir geben zu können den Anschein hat?

Ich sehe im Spiegel 27 Jahre verronnene Lebenskraft, ich sehe die Haare schon licht werden, sehe Lachfalten, Stirnfalten und Falten unter den Augen. Selbst meine Falten haben schon Falten.

Ich sehe spröde Lippen, trockene Haut und große Poren, und was noch? Ein paar struppige Haare gefällig? Vielleicht in Nase und Ohren? Oder dürfen es eher ein paar Speckrollen sein, die meine antrainierten Bauchmuskeln nebulös überlagern wie das Fell von Schrödingers Katze? Mensch, Fabian, bist du alt geworden.

Ich habe meinen Zenit überschritten, keine Frage. Ich werde noch viel Spaß haben, ich werde mögen und gemocht werden, lieben und vielleicht sogar geliebt werden, man weiß ja nie, ich werde singen und lachen, vielleicht ein paar Gedichte schreiben. Ich werde umarmen und necken, nur...

Nur fällt es mir schwer - einzusehen, daß ich nicht mehr jung bin. Ja, ich bin anders als früher. Unbeschwerter, (aus)gelassener, mutiger. Summertime, and the living is easy. Aber welchen Preis habe ich bezahlt, daß ich jetzt auch erwachsener bin?

Ich kann nicht ermessen, was es bedeutet, für viele Sachen zu alt zu sein. Zu alt ist man immer nur für die schönen Dinge des Lebens.

Ich bin nun mutig genug, Dinge zu tun, für die ich inzwischen zu alt bin. Ich habe Mut und Alter gleichzeitig und gleichermaßen erworben - zwei Läufer im Wettrennen, von denen seltsamerweise der eine, nämlich das Alter, mit der Zeit immer fülliger und schwabbeliger wird und dennoch immer schneller läuft. Er läuft mir davon, denn ich habe ihn nicht unter Kontrolle.

Was ist los? Kann ich jetzt nur noch zusehen, wie andere ihren Vorrat an Jugendlichkeit auskosten und sich ihre Träume erfüllen? Alter, was geht? Während andere in ihrer Jugendlichkeit wie in Gold und Silber erstrahlen, kann ich aus dem großen Tuschkasten des Lebens nur noch das Ocker nachtanken. Es ist ein Alptraum.

Ich sitze immer weiter am Rand, betrachte die jugendliche Freude schon mit dem Opernglas auf dieser Reise nach Jerusalem.

Es mag ja auch die Reise nach Mandalay sein, die Reise nach Mekka, aber ich bin nicht fromm genug, als daß sie mir gefallen könnte. Ich habe Angst und leide Schmerzen.

Klar - aus irgendeinem Holz ist jeder geschnitzt.

Nur: Muß es denn wirklich schon spröde und brüchig sein? Wo sind die grünen Triebe, wo bleibt der Nachschub? Noch nie was von Osmose gehört? Ich rudere um die Welt mit einer hölzern Wurzel, während das Boot voll Wasser läuft und in den trüben, dunklen Fluten unter mir Skylla und Charybdis nach Beute suchen, solange sie nicht von einem noch größeren Übel (Leviathan vielleicht?) verscheucht werden. Diese namenlosen Gezeiten nagen seit 27 Jahren an mir, und sie werden mich letztendlich bezwingen, komme, was wolle.

Und was will? Wer will nochmal, wer hat noch nicht?

Ich habe schon, zumindest teilweise, aber ich will nochmal, weil es mir so viel Spaß gemacht hat, weil das Hier und Jetzt der einzige Ort ist, an dem Träume wahr werden. Weil ich nicht der Typ bin, der sorglos mit Skylla schwimmen geht, und weil ich viel verpaßt habe.

Aber das Leben läßt kein Nachholen zu - es ist Echtzeit, Baby... Der legitime Nachholbedarf wird kanalisiert in Sehnsüchten und feuchten Augen, der Zahn der Zeit ist selten gut geputzt, und hier und da schlägt er schon mal in einen Ballen Moos ein, das ich angesetzt habe. Ausgetrickst, ha, ha!

Wenn sich der Gedanke an die eigene Jugendlichkeit vor dem Hintergrund der bittersüßen Sehnsüchte des Körpers und der Seele schon wie ein Nachruf ausnimmt, wenn man sich der besten Zeiten erinnert, statt sie zu erwarten - ja, wenn man anfängt, sich sein Karma auf Kosten der Lebensfreude vergolden lassen zu müssen, weil die Dinge, die da warten, einem mit müden Augen entgegenblinzeln, anstatt sich wie früher des lasziven 0190-Blickes zu bedienen, dann ist es geschafft.

Määp, wollen Sie die blaue Pille - letzte Chance! - für ewige Jugend, oder wollen Sie die rote Pille (ein mitleidiges Lächeln) für Weisheit *mit den Augen roll*, Lebenserfahrung *genervt zur Decke guck* und geistigen Reichtum *schamvoll die Mundwinkel verzieh*?

Ooopsie, ich vergaß, die blauen Pillen sind uns ausgegangen. (Es klingt alles in allem nicht sehr überzeugend!)

Die Reise ist noch nicht vorbei, aber ich kann schon die Schilder sehen, geschlossene Ortschaft, bitte nicht schneller als 50, es sei denn, Sie wären nur auf der Durchreise.

Aber ich reise nicht durch, ich kann die gewohnten Übel nur mit noch größeren Übeln ersetzen, mein im Reagenzglas der Weltgewandheit gezeugter Leviathan frißt mittlerweile schon Cheeseburger. Ich bin bald zuhause.

Freue ich mich schon? Die Tür ist ja offen, es gibt nichts mehr aufzuschließen. Nur schnell den Stock aus der Garderobe, der Rest folgt von selbst. 50? Ha! Raser!

Ich gehe noch einmal langsam durchs Haus, eine letzte Bestandsaufnahme, wer will schon bei der Inventur auf die Finger kriegen? Es ist noch alles da, wie früher, irgendwo, ja, es muß noch irgendwo sein, wo habe ich es nur? Ich könnte schwören...ach, ist ja auch egal. Wo gehobelt wird, da fallen Späne, und meine Habseligkeiten sind schon fast verschwunden, allesamt, unter einer dicken Staubschicht, wobei mir glücklicherweise zum Husten die Kraft fehlt.

Da gehe ich doch lieber gleich ins Bett, weil ich schon ziemlich müde bin, und - ganz ehrlich...

...vielleicht ist da auch nur noch der Staub und nichts darunter. Ich weiß es nicht, mein Gedächtnis mag mir Streiche spielen, aber keiner lacht.

Irgendwo müßte im ersten Stock auch noch ein Zimmer sein, dritter Gang links vielleicht, ganz durch, und beim Schild "Erste Liebe" dreimal vorsichtig klopfen, aber ich schaffe das nicht mehr, ich mag nicht mehr, sollen sich zukünftige Generationen damit auseinandersetzen. Die Zeit ist reif, und ich bin Narr genug, sie zu pflücken.

Schön die Steppdecke über die lahmen Beine gezogen. Schlummertrunk? Ach komm, laß gut sein! Ich kann mich sowieso nicht mehr aufsetzen, die Schwerkraft der Gallensteine muß ihre Finger im Spiel haben, und außerdem habe ich schon mein Nachthemd angezogen, damit kann ich mich sowieso nicht mehr aus dem Bett trauen. Aah, herrlich! Etwas still ohne Musik, dünkt es mich, verdammt still.

Nur eine leise Stimme flüstert "Leben! Leben!". Ich weiß nicht, wo sie herkommt, und ich kann sie nicht zu ihrem Ursprung zurückverfolgen. Nicht in meinem Zustand. "Zu _meiner_ Zeit...", gähne ich noch, aber da schlafe ich schon ein, dicht an meinen kratzigen Leviathan gekuschelt auf Morpheus' Fittichen. Die Stimme, das war meine, merke ich noch, dann bin ich weg.

Das Nirvana zieht vorbei, ruhig und wunderschön.

Das sagt man mir jedenfalls, aber ich kann beim besten Willen nichts erkennen, meine Augen sind auch nicht mehr, was sie einmal waren, dem Opernglas sei dank. Ehre, wem Ehre gebührt.

A propos Geburt: Ich bin gebürtiger Nichtmensch, das sollten wir vielleicht klären, nicht, daß wir uns da falsch verstehen. Aus dem Nirvana gekommen, ein kleiner Abstecher Richtung Leben. Hey, Moment, das sieht interessant aus, könnte mir Spaß machen. Die Erfindung der Currywurst - please applaude now. Oh, tschuldigung, schon vorbei. Wir haben noch viel zu tun!

Zu tun? Ein paar Metamorphosen maximal, von Fleisch zu Erde, von Erde zu neuem Leben und zu neuer Erde. Mein Name ist Ewigkeit, guten Tag, wollte nur mal nach dem Rechten sehen.

Jetzt mach aber mal einen Punkt --> .


Kommentare
  • Kont
    Da würde ich gerne vieles zu sagen aber leider wäre nichts davon angemessen. Stattdessen werde ich den Text noch einmal lesen. Um zu verstehen, dass doch nur Zeit vergeht, während man sammelt, was nicht zu halten ist.

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