Das Doppelspalt-Experiment

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Das Doppelspalt-Experiment ist die Mutter der Experimente der Quantenphysik. Lass uns schnell eines bauen...

Links platzieren wir eine Lampe und rechts eine Wand. Wenn wir die Lampe anschalten, wird die Wand hell erleuchtet. Wir nennen die Lampe die Lichtquelle und die Wand den Beobachtungsschirm, und schon klingt das alles viel professioneller. Bei eingeschaltetem Licht ist auf dem Schirm eine recht gleichmäßige Helligkeit zu sehen, die uns jedoch noch nicht hilft, irgendwelche Quanteneffekte zu beleuchten.

Aber wir haben ja auch noch gar keinen Doppelspalt! Den bauen wir uns jetzt, indem wir eine dünne, undurchsichtige und damit für das Licht undurchdringliche Platte vor den Schirm stellen. In die Platte schneiden wir zunächst einen senkrechten Schlitz und schauen uns das Muster an, welches auf dem Beobachtungsschirm entsteht.

Bislang gibt es keine großen Überraschungen. Ein Teil des Lichts kommt durch den Spalt, weshalb es auf dem Schirm einen schmalen Lichtstreifen erzeugt.

Lediglich eine Tatsache könnte uns wundern - nämlich, dass auf dem Schirm kein scharf abgegrenzter Schatten zu sehen ist, wie wir ihn erwarten würden, wenn wir es mit klassischen Teilchen zu tun hätten. Wir sind diesen "Lichtbeugung" genannten Effekt allerdings gewohnt, so dass er uns nicht weiter auffällt. Schließlich wissen wir, dass Licht sich wie eine Welle verhält. Je weiter der "Schattenspender" vom Schirm entfernt ist, desto unschärfer ist der entstehende Schatten.

Aber gut, jetzt schneiden wir noch einen zweiten Schlitz in die Platte. Die nächsten beiden Bilder zeigen, welches Ergebnis wir erwarten würden.

Wir erwarten, dass sich nun zwei helle Streifen nebeneinander auf dem Schirm zeigen. Wenn ein Spalt einen Lichtkegel wirft, werfen zwei Spalte eben zwei Lichtkegel. Wir addieren einfach das Licht, welches durch beide Spalte fällt.

Aber Quantenobjekte wie Photonen (die "Dinge" des Lichts beziehungsweise des Elektromagnetismus) verhalten sich anders als erwartet. Das echte Resultat wird auf den folgenden Bildern gezeigt.

In der Mitte (also dort, wo eigentlich gar kein Licht ankommen sollte) kommt das meiste Licht an, und nach links und rechts gibt es einige Bereiche, in denen viel oder gar kein Licht ankommt.

Dieses Verhalten von Licht (wie auch die unscharfen Schattenränder) lässt sich mit der Wellentheorie erklären. Demnach pflanzt sich Licht als Welle fort, wird an Kanten gestreut und interferiert mit sich selbst, so dass es zu einem Interferenzmuster kommt. Wellenberge löschen sich mit Wellentälern aus und verstärken sich mit anderen Wellenbergen. Das Licht ist also eine Welle. Es geht durch beide Spalte gleichzeitig und wechselwirkt mit sich selbst, um das beobachtete Muster zu erzeugen.

Doch nehmen wir noch eine Veränderung vor. Wir dunkeln die Lichtquelle so ab, dass nur ein einziges Lichtteilchen (Photon) durchkommt. Schließlich hat Max Planck gezeigt, dass Energie, also auch Licht, nur in einzelnen Paketen (Quanten) abgegeben werden kann. Der Schirm zeigt uns also nur einen einzigen Lichtpunkt. Nach einer Sekunde feuern wir ein weiteres Photon ab. Wir bekommen einen zweiten Lichtpunkt. Niemand weiß im Voraus, wo. Irgendwo.

Nach einer Sekunde folgt ein weiteres Photon. Es trifft irgendwo auf dem Schirm auf. Haben wir ein Muster? Nein, es sind nur drei zufällige Photonen. Doch nach vielen, vielen weiteren Stunden, in denen wir jeweils unabhängig voneinander pro Sekunde ein Photon abgefeuert haben, bekommen wir wieder dieses Bild:

Die einzelnen Photonen haben nicht miteinander interagiert - in jedem Moment, in dem eines abgefeuert wurde, war das vorige schon lange nicht mehr unterwegs. Es war schon längst ein kleiner, einzelner Punkt auf dem Schirm. Wir können in diesem Experiment auch ein paar Wochen warten, bevor wir das jeweils nächste Photon abfeuern. Es ändert sich nichts am Ergebnis. Jedes einzelne Photon geht durch den Doppelspalt und landet an einer zufälligen Stelle auf dem Schirm. Aber die Verteilung in Summe macht den Anschein, als sei es durch beide Spalte gegangen und habe mit sich selbst interferiert.

Was ist die Erklärung für dieses Verhalten? Ist das Photon durch beide Spalte gegangen, um den Weg, den es nehmen möchte, auszukundschaften?

Es ist ja - unter uns Hobbyphysiker*innen - nichts leichter, als das zu testen. Wir stellen einfach Detektoren direkt an den Spalten auf! Keine Geheimnisse! Jedes einzelne Photon muss uns jetzt preisgeben, durch welchen Spalt es geht.
Wir stellen fest: das erste gemessene Photon geht durch Spalt A, das zweite auch, das dritte geht durch Spalt B, das vierte wieder durch Spalt A und das fünfte wiederum durch Spalt B. Nun haben wir die Gewissheit, dass jedes Photon (zufällig) durch nur einen der beiden Spalte geht und keines durch beide gleichzeitig. Perfekt! Doch leider verschwindet in diesem Versuchsaufbau auch das Interferenzmuster auf dem Schirm. Stattdessen sehen wir die zwei hellen Streifen, die wir nach der klassischen Teilchentheorie erwarten würden.
Sobald wir anfangen, dem Photon die Freiheit einzuschränken, durch welchen Spalt es unbemerkt gehen kann, tut es das auch nicht mehr.

Früher war es en vogue zu behaupten, dass die Beobachtung eines Quantenobjekts dazu führt, dass seine Wahrscheinlichkeitswelle zusammenbricht und es sich an einem konkreten Ort zeigt. Alles daran ist eine vernünftige Sichtweise, außer dem Begriff der Beobachtung. Der Begriff impliziert, dass der Ausgang eines Experiments von einem bewussten Beobachter abhängig ist. Das ist nicht so. Täuschen sich also alle Quantenheiler*innen? Ja, tun sie. Eine bessere Formulierung ist: Sobald wir eine Messung vornehmen, lassen wir die Wahrscheinlichkeitswelle zusammenbrechen. Noch genauer: Sobald wir dafür sorgen, dass Quantenobjekte interagieren, stören wir die Wellenfunktion.

Wir sehen schon langsam, dass wir die Realität, die wir "dort draußen" vermuten, nicht verstehen können. Die Ansicht beispielsweise, dass ein Photon (oder ein Elektron oder ein anderes kleines Teilchen) durch beide Spalte geht, um mit sich selbst wechselzuwirken, bevor es auf dem Schirm auftrifft, ist ein Modell der Realität, eine Interpretation, von Menschen ausgedacht, um irgendwie damit klarzukommen, dass wir diese Phänomene nicht intuitiv verstehen können. Unsere Auffassung von Logik, Kausalität und Realität ist von Phänomenen geprägt, die wir in der Alltagswelt erleben. In einer Welt ohne Quantenphänomene.

Verhalten sich die kleinsten Dinge also "komisch"? Eigentlich nicht. So verhalten sich die Dinge nun mal in unserem Universum. Man könnte genauso gut sagen, dass sich die großen, makroskopischen Dinge komisch verhalten, weil sie aus so unglaublich vielen kleineren Dingen bestehen, dass sich ihre Quantennatur im Mittel nicht zeigt. Ständig finden Wechselwirkungen statt, die den Gebilden ihre Stabilität geben. Welches Verhalten wir komisch finden, ist Ansichtssache, doch wir Menschen sind eben große Dinge gewohnt und nicht kleine.

Wir sind hier an der Grenze dessen angelangt, was wir begreifen können. Wie das Universum an sich funktioniert, können wir niemals erfahren - wir können uns nur Modelle ausdenken, die uns in die Lage versetzen, mit diesen Phänomenen zu arbeiten. Hier sind die beliebtesten Modelle; sie alle "erklären" das Phänomen auf eine eigene Weise und sind völlig gleichberechtigt in dem Sinne, dass ihre Vorhersagen durch Messungen gleichermaßen bestätigt sind:

Die Kopenhagener Deutung (Niels Bohr, Werner Heisenberg)
Das Photon an sich existiert nicht als physisches Ding, bevor es auf dem Schirm ankommt. Es breitet sich eine Photon-Wahrscheinlichkeitswelle durch beide Spalte aus (Superposition), die mit sich selbst interferiert. Erst bei der Beobachtung des Schirms kollabiert die Wahrscheinlichkeitswelle und erzeugt das Muster, das wir sehen.

Die Viele-Welten-Interpretation (Hugh Everett)
Das Photon geht durch beide Spalte, indem es für jede Möglichkeit ein neues Universum erzeugt. Die Wahrscheinlichkeitswelle kollabiert nicht, sondern auch wir als Beobachter*innen existieren in Superposition.

Die Pilotwellen-Theorie (Louis-Victor de Broglie, David Bohm)
Eine unsichtbare sogenannte Pilotwelle leitet das Photon von Anfang an als reales physisches Objekt auf einer definierten Bahn durch das Experiment. Die Pilotwelle "weiß" dabei alles über das gesamte Universum.

Daneben gibt es noch die "Shut up and calculate"-Sicht. Viele Physiker sehen keinen Sinn in einer Interpretation, weil jede Interpretation ohnehin Elemente enthalten müsste, die außerhalb der Reichweite des menschlichen Verstandes lägen. Sie ziehen sich auf die Formeln zurück und messen einer Deutung der Realität keinen Wert bei. 

Was ist real? Was passiert in Wirklichkeit?
Real ist, dass Erwin Schrödingers Gleichung für Wellenfunktionen präzise voraussagt, welche Ergebnisse man jeweils in der Realität erwarten kann. Wir brauchen sie unbedingt. Man muss akzeptieren, dass hier mit Wahrscheinlichkeiten gerechnet werden muss. Das ist kein den Gleichungen innewohnender Fehler, sondern ein Merkmal unseres Universums, wie die Bellsche Ungleichung von John Stewart Bell beweist. Real ist, dass beide Spalte in die Gleichung einbezogen werden müssen, um die Ergebnisse vorauszusagen. Was in Wirklichkeit passiert, ist nicht zu beantworten. Sinnvoll ist es, sich vorzustellen, dass Quantenobjekte keine kleinen Teilchen sind, die entweder durch einen oder den anderen Spalt gehen. Sie gehen auch nicht durch beide Spalte. Unsere beste mathematische Beschreibung ist die Schrödingergleichung, die den Objekten eine Wellencharakteristik zuordnet. Mit der Ansicht, dass es eine Photonenwelle gibt, die durch die Existenz beider Spalte beeinflusst wird, steht man meiner Meinung nach ganz gut da.

Dadurch, dass alle Photonen anschließend gezwungen werden, mit dem Beobachtungsschirm zu wechselwirken, um dort einen Lichtpunkt zu generieren, nehmen wir ihnen die Möglichkeit, sich weiter als Welle zu verhalten, und bringen die Natur dazu, sie uns als Teilchen zu präsentieren. Irgendwas muss man uns als Beobachter*innen ja schließlich anbieten, so scheint es.

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